Gaucks Gedenken an NS-Opfer
"Es verletzt unser Empfinden für Gerechtigkeit tief"
[Photo:] Gauck gedenkt italienischer NS-Opfer; Italiens Präsident Giorgio Napolitano
und
Bundespräsident Joachim
Gauck haben in Sant'Anna di Stazemma der Opfer eines SS-Massakers
gedacht.
[24.03.2013] Binnen Stunden tötet die SS 1944 im italienischen Sant'Anna mehr als 400
Menschen. Juristisch ist der Fall nach fast 70 Jahren noch immer nicht
geklärt. Jetzt hat Joachim Gauck als erster Bundespräsident den Ort
besucht.
"Hier wurde die Menschenwürde mit Füßen getreten und Menschenrechte
massiv verletzt". Hier starben bei einem Massaker der Waffen-SS 1944
mehr als 400 Menschen: Sant'Anna di Stazzema ist ein wichtiger
Erinnerungsort an die Gräueltaten der NS-Zeit.
Bundespräsident Joachim
Gauck hat das
toskanische Bergdorf am Sonntag gemeinsam mit dem italienischen
Staatschef Giorgio Napolitano besucht.
In seiner Rede rief Gauck dazu auf, Versöhnung als ein Geschenk zu
betrachten. Versöhnung meine nie und auf keinen Fall Vergessen. "Die
Opfer haben das Recht auf Erinnerung und Gedenken. Das Verbrechen, das
hier stattgefunden hat, darf niemand, der davon weiß, vergessen."
Napolitano sagte, diese Erinnerung sei ein Fundament Europas.
Deutschland und Italien
ließen sich heute nicht vom gemeinsamen Aufbau Europas abhalten. Zum
Gedenken legten beide Politiker Blumengebinde an einem Denkmal nieder.
Bei dem Massaker am 12. August 1944 hatten SS-Truppen in der
Schlussphase des Zweiten Weltkriegs innerhalb weniger Stunden alle
Häuser des Dorfes in den Apuanischen Alpen zerstört und zwischen 400 bis
500 Menschen getötet. Gauck besuchte den Ort in der Nordtoskana als
erster Bundespräsident. Er war nur für
die Kranzniederlegung nach Italien geflogen. Gauck hatte sich Ende
Februar spontan zu dem gemeinsamen Besuch entschlossen, nachdem
Napolitano ihm den Brief eines Überlebenden überreicht hatte.
Der Bundespräsident sprach auch die äußerst schwierige und immer noch
nicht abgeschlossene juristische Aufarbeitung des Verbrechens an. "Es
verletzt unser Empfinden für Gerechtigkeit tief, wenn Täter nicht
überführt werden können, wenn Täter nicht bestraft werden können, weil
die Instrumente des Rechtsstaates dieses nun einmal nicht zulassen",
sagte er. Das moralische Empfinden sei damit aber nicht beruhigt. Ein
Urteil über gut und böse sei auch möglich, wenn Gerichte nicht zu einem
Schuldspruch kämen. Denn es gebe nicht nur eine strafrechtliche, sondern
auch eine politische Schuld. "Wir, die Öffentlichkeit, nennen die Schuld
Schuld", sagte Gauck unter Beifall.
Das Massaker wurde im Kalten Krieg lange verschwiegen und von Italiens
Justiz nicht verfolgt. Die Akten lagerten bis zum Jahr 1994 in einem
versiegelten Schrank, später "Schrank der Schande" genannt. Zehn
ehemalige SS-Angehörige wurden später zwar zu lebenslänglicher Haft und
Entschädigungszahlungen verurteilt, traten ihre Strafe aber nie an.
Langjährige Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft wurden im
Jahr 2012 eingestellt. Sie teilte mit, den Beschuldigten könne keine
noch nicht verjährte strafbare Beteiligung nachgewiesen werden. Dagegen
hat ein Opferverband des Ortes jedoch Einspruch eingelegt.
Süddeutsche Zeitung
sz.de/1.1632536 http://sz.de/1.1632536
am 24.3.13