Isabel Allende: Von Liebe und Schatten
Jenseits der [spanischen] Grenze wartete die französische Polizei auf die endlose Karawane der
Geschlagenen. Die Männer wurden ausgesondert und abgeführt. Professor Leal redete wie ein Irrer
auf sie ein, um seine besondere Lage zu erklären, und musste mit Kolbenstössen in ein
Konzentrationslager getrieben werden. [Es gelang einem französischen Postboten, Professor Leal]
an einem von Stacheldraht umzäunten Strand ausfindig zu machen, wo die Männer untätig zum
Horizont starrend ihre Tage verbrachten und sich des Nachts in Erwartung besserer Zeiten in den
Sand eingruben. Es fehlte nicht viel, und Leal wäre wahnsinnig geworden vor Angst um [seine
Frau] Hilda und seinen Sohn. Als er daher aus dem Mund des Briefträgers hörte, die beiden seien
in Sicherheit, senkte er den Kopf und weinte ausgiebig, zum erstenmal in seinem erwachsenen
Leben. Der Franzose wartete ab, den Blick auf das Meer gerichtet, ohne ein passendes Wort oder
eine Geste des Trostes zu finden. Als er sich verabschiedete, sah er, dass der andere vor Kälte
schlotterte, zog seinen Mantel aus und reichte ihm den errötend. So begann eine Freundschaft,
die ein halbes Jahrhundert dauern sollte.
aus: Isabel Allende: Von Liebe und Schatten, Frankfurt/Main 1986, S. 142 f.